In den letzten Monaten häufen sich die Berichte über sexualisierte Übergriffe im Tübinger öffentlichen Raum (z.B. Klinikgelände, Jugendhaus, Festival).
Das Thema sexuelle Belästigung ist für viele Frauen alltäglich und rückt erst durch diese Berichterstattung und die Diskussionen, die durch LeserInnenbriefe und Kommentare angeregt werden, in die Öffentlichkeit.
Wir müssen uns damit beschäftigen, denn Begrapschen, verbale Anzüglichkeiten und unerwünschte Übergriffe auf den eigenen Körper sind kein Tabuthema, sondern sind alte und aktuelle gesellschaftliche Realität. Wir sind alle zum Handeln aufgefordert!
Täter, die die Persönlichkeitsrechte und das Recht auf Unversehrtheit von Frauen nicht wahren, sollten ausnahmslos angezeigt und bestraft werden!

Das neue Sexualstrafrecht gibt dafür die rechtliche Grundlage.
Am 10.11.2016 ist es in Kraft getreten.
Darin wird der Grundsatz „Nein heißt Nein“ verankert: Alle nicht-einverständlichen sexuellen Handlungen werden ab diesem Datum unter Strafe gestellt. Die Reform stellt eine erhebliche Verbesserung für den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung dar:
„Mit dem neuen Gesetz ist ein sexueller Übergriff schon dann strafbar, wenn er gegen den erkennbaren Willen einer Person ausgeführt wird. Es kommt nicht mehr darauf an, ob eine betroffene Person sich gegen den Übergriff körperlich gewehrt hat oder warum ihr dies nicht gelungen ist.

Gleichzeitig wird mit dem Gesetz der neue Straftatbestand der sexuellen Belästigung eingeführt.´Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft´. Dadurch sind künftig auch Übergriffe strafbar, die bislang als nicht erheblich eingestuft waren (das so genannte Grapschen).

Mit der Reform wird auch die Ungleichbehandlung im Strafrahmen bei Betroffenen mit Behinderungen abgeschafft. Bisher fiel das Strafmaß bei sexuellen Übergriffen gegen eine ‚widerstandsunfähige‘ Person geringer aus. Mit dem neuen Gesetz können solche Übergriffe gegen Frauen mit Behinderungen härter bestraft werden (bff-Frauen gegen Gewalt e.V.).“

Alle Straftaten, die gegen das sexuelle Selbstbestimmungsrecht von Frauen verstoßen, können mit Geldstrafen oder mit Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis 5 Jahre bestraft werden.

Um das persönliche Sicherheitsgefühl von Frauen im öffentlichen Raum zu stärken, können folgende Verhaltensweisen zum Selbstschutz dienen:

1. Gesunden Menschenverstand walten lassen und auf das eigene „Bauchgefühl“ vertrauen und es ernst nehmen!
– Wenn ein Weg nicht angenehm ist, diesen meiden und lieber einen anderen Weg gehen: Beleuchtete und frequentierte Straßen bevorzugen, auch wenn sie länger sind!
– Wenn andere Passanten nicht angenehm sind,die Straßenseite wechseln bzw. sich beim Warten lieber in die Nähe von vertrauenerweckenden Personen als alleine setzen
– In öffentlichen Verkehrsmitteln in die Nähe des Fahrers/der Fahrerin setzen oder ein Taxi nehmen (einige Verkehrsbetriebe bezuschussen das Taxi von der Bahn nach Hause)
– In der Gruppe ausgehen bzw. Nachhausegehen schützt
– Präsent sein, aufmerksam für die Umgebung sein: Alles vermeiden, was die eigene Aufmerksamkeit stört (Kopfhörer; aufs Smartphone fixiert sein und dadurch Umgebung ausblenden; Kleidung wie Kapuzenjacken, die die Sicht einschränken)

2. Polizei-Notruf 110 wählen ist immer möglich! Der Einsatz muss nicht selbst bezahlt werden: Sie haben das Recht, die Polizei zu rufen, wenn Sie sich unsicher bzw. bedroht fühlen!
Am Telefon: Zuallererst den eigenen Standort nennen: „Ich stehe/bin…“, dann erst „Ich brauche Hilfe…“, damit die Polizei eine Streife schicken kann, auch wenn das Handy evtl. entwendet wird.

3. Was tun, wenn man angegriffen wird?
– Wichtig: Sich nicht provozieren lassen, nicht diskutieren! Aus der Gefahrenzone gehen!
– Wenn das nicht geht: Aufmerksamkeit erregen!
– Schrillalarm benutzen: Kann an Handtasche/Hosenbund befestigt werden und leicht abgezogen werden; das erzeugt einen Alarm/Lärm/lautes Geräusch; Schrillalarme können übers Internet bestellt oder in Waffenläden erstanden werden oder bei Frauen helfen Frauen Tübingen e.V. (Weberstr. 8) für 3,50 Euro gekauft werden.
– Schreien: Die eigene Stimme hat frau immer dabei; Schreien kann geübt werden! Am Besten mit Worten, an die frau sich gut erinnern kann bzw. die einem liegen: z.B. STOP! (international verständlich); HALT! GEHEN SIE WEG!
– Laut um Hilfe rufen.
– wenn BeobachterInnen in der Nähe sind, diese direkt ansprechen: „ Sie in der blauen Jacke, bitte rufen Sie die Polizei“ oder direkt um Schutz bitten „Helfen Sie mir! Dieser Mann belästigt mich!“
– Wichtig: Den/die Täter niemals duzen, sondern immer siezen! Das signalisiert Distanz und zeigt Passanten, dass es sich nicht um einen „privaten Streit“ handelt, bei dem die Hemmungen evtl. größer sind, sich einzumischen.
– Für BeobachterInnen wichtig: Sich selbst nicht in Gefahr bringen! Polizei rufen; Hilfe holen, andere ansprechen und sich geschlossen gegen den oder die Täter stellen; Aufmerksamkeit erregen (Rufen, Lärm machen); Merkmale des/der Täter einprägen (z.B. Haarfarbe, Größe, Kleidung, Mütze/Kappe, Bart etc.), um der Polizei später als Zeuge/Zeugin weiterhelfen zu können; eine Anzeige ist wichtig, auch wenn der Angreifer die Tat nicht vollendet hat bzw. man keine konkreten Angaben machen kann.
– Wenn das nicht hilft und der Täter angreift, dürfen/müssen Sie sich wehren, mit allem, was zur Verfügung steht: Sie haben das Recht und die Pflicht, sich zu verteidigen! Sie dürfen alles tun, was ihrer Verteidigung dienlich ist:
– Treten, Schlagen, Beißen, Kratzen, Werfen etc.
– evtl. Schlüssel (hat frau meist immer dabei) zwischen die Finger nehmen und als Schlagwaffe benutzen

4. Was taugen Pfeffersprays und andere Verteidigungswaffen?
– Generell wird davon abgeraten, da jede Waffe, die man in die Hand nimmt, gegen sich selbst gerichtet werden kann;
– bei Pfeffer- bzw. CS- Gas kann die Benutzung im geschlossenen Raum sich selbst mit beeinträchtigen und auch unter freiem Himmel sich selbst schädigen (z.B. wenn gegen die Windrichtung gesprüht)
→ Lieber Schrillalarme benutzen, Lärm machen (s.o.)

5. Sonstige Hilfen?
– Selbstverteidigungs- und Selbstbestimmungskurse besuchen hilft grundsätzlich (der Verein Frauen helfen Frauen e.V. hilft gern bei der Organisation!) – doch muss die Grundtechnik regelmäßig geübt werden! Wenn sie gelernt, geübt und verinnerlicht ist, wird sie auch in Notsituationen anwendbar sein!
– Sicherheits-Apps sind abhängig von der Qualität des Handyempfangs, Akkuleistung und GPS, sie können im Notfall versagen.
– Heimweg Telefon anrufen: Ehrenamtliche Berliner Initiative, leider bisher nicht kostenlos: Von 20:00 Uhr – 24:00 Uhr, Montag bis Sonntag
Tel.nr. 030-12074182
– FreundInnen/Bekannte/Familie anrufen und während des Heimweges mit Ihnen telefonieren
– Einen Anruf simulieren, z.B. zum Handy greifen und ein Telefonat vorgeben: „Ich seh Dich grad noch nicht, Du müsstest ja gleich da sein; ich geh Dir noch weiter entgegen, siehst Du mich schon?…o.ä.“

Die Beratungsstellen vom Verein Frauen helfen Frauen Tübingen e.V. (www.frauen-helfen-frauen-tuebingen.de) unterstützen Sie gerne bei weiteren Fragen und Beratung zum Thema häusliche Gewalt und sexualisierte Gewalt! Sie befinden sich im Frauenprojektehaus in der Weberstr. 8, 72070 Tübingen. Hier können Sie sich anonym beraten lassen, telefonisch oder per E-mail oder gerne einen persönlichen Gesprächstermin mit uns vereinbaren!

Beratungsstelle Häusliche Gewalt, Sarah Heuberger
fhfberatung.tue@t-online.de |  07071-26457

Beratungsstelle Sexualisierte Gewalt, Micha Schöller
fhfbsg.tue@t-online.de |  07071-7911100

Das neue Sexualstrafrecht: Rechtliche Grundlage gegen sexualisierte Übergriffe!